Wir sind MEHR wert

Mobilisierungskampagne · Nahverkehr · 2008-2010 · NRW · ver.di FB11 NRW

Logo Wir sind MEHR wert!Der Spartentarifvertrag scheitert – was nun?

Im Jahr 2008 galt es für ver.di unter schwierigsten Bedingungen - perspektivisch auf das Jahr 2010 hin - einen neuen Flächentarifvertrag für den Nahverkehr in NRW auszuhandeln. Die Finanzierung des Nahverkehrs war durch das Finanzdesaster der Kommunen völlig unsicher geworden. Privatisierungen schränkten zusätzlich die bis dato erfolgreich praktizierte Quersubventionierung des ÖPNV aus anderen kommunalen Töpfen ein. Ausgründung und Tarifflucht wurde immer häufiger. Für den im Jahr 2001 als Reaktion auf eine erste Rationalisierungswelle ausgehandelten „Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe“ (TV-N), war ver.di mit einem Mitgliederverlust von 17% abgestraft worden.

Handlungsfähiger werden und Mitglieder mehr beteiligen – Aktionsformen jenseits des klassischen Arbeitskampfes

Für die neuen Tarifverhandlungen ging es um die Frage: Wie können wir unsere Ausgangssituation verbessern und wie beteiligen wir die Mitglieder so gut wie möglich? Bis zum 31.12.2009 durfte wegen des ungekündigten Tarifvertrages (TV-N) nicht gestreikt werden. Aus diesem Grund entschied sich der Fachbereich 11 NRW, unter Leitung der Fachbereichsleiterin Christine Behle, für eine Mobilisierungskampagne (MoKa), da sie den „Aufbau von Handlungs-, Aktions- und Streikfähigkeit im Betrieb vor, parallel zu und gegebenenfalls nach einer Tarifrunde“ zum Ziel hat.

Die Kampagne sollte die Beschäftigten, die Öffentlichkeit sowie die Kommunalpolitik einbeziehen und so frühzeitig Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben, welche bereits mit der Gründung billiger Tochtergesellschaften drohte.

Um die Beschäftigten zu beteiligen und die Basis zu stärken, rief ver.di einen „Kampagnenrat“ ins Leben, bestehend aus  interessierten Kolleg*innen, Vertrauensleuten und Betriebsrät*innen. Die Teilnehmenden hielten engen Kontakt mit den Kolleg*innen vor Ort. Sie entwickelten den Kampagnenslogan „Wir sind MEHR wert“ und die drei Kernforderungen:

  1. Erhalt und Ausbau des ÖPNV in kommunaler Hand
  2. Gesunde Arbeitsbedingungen im Nahverkehr
  3. Guter Lohn für gute Arbeit

Diese Forderungen wurden argumentativ unterfüttert und in Kampagnen-Materialien (z.B. Mitgliederbriefen, Wimmelbildern, Argumentationskarten) aufbereitet.

Aktionswochen und ein Werkzeugkoffer an kreativen Maßnahmen

Umgesetzt wurde die MoKa in acht Aktionswochen mit je einem besonderen Themenschwerpunkt. Im Kampagnenrat wurde das Thema festgelegt und verabredet welche Aktivitäten durchgeführt werden sollten. Anregungen holten sich die Aktiven hierbei aus einem „Werkzeugkoffer“ von ORKA, mit vielen praktischen Vorschlägen und strategischen Vorgehensweisen. Jeder Betrieb konnte sich passend zu seiner individuellen Situation vor Ort daraus etwas aussuchen.

Es gab ein ganzes Bündel an Aktivitäten: Plakate, Postkarten, Cartoons, Mitgliederbriefe, aktivierende Befragungen, Transparent- und Klebeaktionen in den Bussen. Des Weiteren z. B. die Aktion „10 Fragen an Kommunalpolitiker“, die die Politik ansprach. Im Laufe der Kommunalwahl 2009 wurden alle Landtagsabgeordneten zu regionalen Gesprächen eingeladen. In den Betriebshöfen fanden Veranstaltungen mit historischen Bahnen sowie persönliche 1:1-Gespräche statt. Alle Aktionen wurden jeweils im Anschluss im Kampagnenrat besprochen und ausgewertet.

Besonders gut kamen die Mitgliederbriefe an, die persönlich an die knapp 18.000 Mitglieder im Nahverkehr übergeben wurden und ihnen so signalisierten: „Wir sind eure Gewerkschaft und möchten, dass ihr wisst, was gerade passiert.“

Das Ergebnis: stärkere Organisierung und Motivation für weitere Kampagnen

Im April 2010 wurde der neue TV-N abgeschlossen. Er enthielt angesichts der angespannten Marktsituation erneut eine abgesenkte Tabelle für Fahrer und Fahrerinnen. Anders als beim ersten TV-N des Jahres 2001 gab es diesmal, anstatt eines Mitgliederverlustes, einen leichten Zuwachs von 1,2%. Das war ein zentraler Erfolg der Kampagne, der von der Beteiligung der Mitglieder im Kampagnenrat und damit von den Inhalten der Kampagne lebte. Es war ihre Kampagne und damit auch ihre Gewerkschaft. Die Aktiven im Kampagnenrat hatten so viel Freude an ihrer Arbeit, dass sie unbedingt weiter machen wollten und sich direkt nach der Tarifrunde dem Thema „demographischer Wandel“ widmeten.

„Die Kampagnenarbeit war sehr gut investierte Zeit“, zieht Christine Behle, Fachbereichsleiterin NRW, Bilanz. „Die MoKa hat eine große Motivationskraft auf uns ausgeübt, um weiterhin mit Kampagnen zu arbeiten.“

ORKA hat die Kampagne beraten, Sekretär*innen wie Kampagnenratsmitglieder begleitet und gecoacht sowie die Strategie der Kampagne den jeweils aktuellen Bedingungen vor Ort angepasst.